Alles, was wir sind, ist das Ergebnis dessen, was wir dachten
Buddha

Freitag, 7. Juni 2019

Ramzan

… ist der islamische Fastenmonat, der von Muslimen weltweit befolgt wird. 29-30 Tage lang verzichten die Gläubigen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang  auf Nahrung, Wasser, Sex oder  Handlungen, die als moralisch fragwürdig angesehen werden, wie etwa Schimpfwörter. Ramzan ist eine Zeit des Gebets und der Besinnung, in der besonderen Wert darauf gelegt wird, dass selbst die Ärmsten Almosen erhalten und so an der Gemeinschaft teilhaben können.

Ramadan ist der Monat, in dem Prophet Mohammed die erste Sure des Koran auf dem Berg Nur in Mecca empfangen hat. Die Nacht, in der dies geschah ist bekannt als Laylat-al-Qadr (The Night of Power). Während Unstimmigkeit herrscht, wann genau diese stattfand, ist man sich einig, dass sie in die letzten zehn Tage des Monat Ramzan fällt. Nach dem generellen Glauben werden in dieser Nacht alle Sünden vergeben und die Menschen erhalten Gottes Segen.  Ramzan ist daher auch ein Monat des Neuanfangs. Eine muslimische Freundin von mir drückte ihre Sichtweise auf Ramadan so aus:


In Bangalore macht sich Ramzan hauptsächlich in ausgewählten Stadtvierteln bemerkbar, in denen mehrheitlich Muslime angesiedelt sind. Während der Rest der Stadt die Gehsteige hochklappt, erwacht Frazer Town um die Hajee Sir Ismail Sait Masjid nach dem letzten Abendgebet zum Leben.  Familien begeben sich zum Fastenbrechen (Iftar) nach draußen.  Die Straße ist gesäumt mit Essensständen, die Kabab, Biriyani und den Eintopf Haleem verkaufen. Wer genug gegessen hat, erfreut sich an einem weiten Angebot an Tee und Süßigkeiten. Für die Hungernden ist das Essen an vielen Ständen umsonst.

Ich entdeckte das öffentliche Iftar in Frazer Town zum ersten Mal durch Zufall, als ich eines Abends auf der Suche nach einem Koreanischen Restaurant durch die Straße fuhr. Zwar waren mir ähnliche Events in Koramangala und Jayanagar im Süden der Stadt bekannt, jedoch waren diese wesentlich kleiner und schlossen vergleichsweise früh ihre Türen. Ich ließ meine Pläne von Koreanischem Essen sein und begann stattdessen das Essen der verschiedenen Stände zu probieren. Zwei Kababs später war ich dick satt, als mir ein Tee Geschäft auffiel, das Tandoori Chai in glühend heißen Tontöpfen sowie Sulaimani, einen Zitronentee mit Gewürzen, der ursprünglich aus Kerala stammt, zubereitete. Diesen Tee Stand sollte ich im Laufe des Monats noch öfter aufsuchen.
Auch in Deutschland laden Städte inzwischen oft zum öffentlichen Iftar ein. Ich finde dies eine hervorragende Idee, zum einen weil viele dieser Events zur Hilfe von Flüchtlingen ausgerichtet sind und eine offene Wilkommenskultur propagieren und zum anderen weil sie interkulturellen Dialog in der Gesellschaft fördern.




Ramzan endet mit dem Fest Eid ul-Fitr, auch bekannt als das kleine Eid gegenüber Eid ul-Adha, das im August stattfindet.  Es beginnt, wenn der neue Mond am Himmel gesehen wird. Je nach Region wird das Fest auf unterschiedliche Weise begangen. Während sich meine muslimische Freundin in Mauritius jährlich darüber beschwert, dass sie shoppen gehen muss um ein neues Kleid für Eid zu finden, dass von ihrer Mutter als würdig angesehen wird, hält meine Zimmernachbarin bereits mehrere Outfits inklusive Schmuck bereit, die sie zum Treffen mit ihrer ganzen  Familie in Kalkutta anziehen wird. Eine weitere Freundin mit türkischen Wurzeln geht lieber mit Freunden aus zum Essen und danach ins Kino, jedoch auch top gestylt. Das schönste Eid Outfit, das mir an dem Tag begegnete, war jedoch eine schimmernd rote Samt Burqa, die jedes Abendkleid in den Schatten gestellt hätte. Ich war nicht die einzige, die sich nach der Dame umdrehte.

Nach Ende des Festes vermisse ich jetzt schon die fröhliche offene Atmosphäre des Iftar. Ich werde wohl bis nächstes Jahr warten müssen, bis ich sie wieder genießen kann. In diesem Sinne wünsche ich allen Muslimen dieser Welt ein leicht verspätetes Eid Mubarak.








Montag, 27. Mai 2019

Pappu & Chaiwalla

Am 24.5. gab die indische Wahlkommission das Ergebnis der Wahl zum indischen Unterhaus, der Lok Sabha, bekannt. Premierminister Narendra Modi’s Partei Bharatiya Janata Party (BJP) gewann 292 von 543 Sitzen und ist damit in der Lage ohne Koalition regieren zu können. Grund genug, um Indiens politisches System einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Indien hat die zweitlängste Verfassung der Welt, übertroffen nur vom Staate Alabama. Während das deutsche Grundgesetz gut in der Hosentasche bei sich zu tragen ist, sieht man sich in Indien mit einem drei Kilo schweren Wälzer konfrontiert. Der vielleicht wichtigste Teil der indischen Verfassung ist die Präambel. Sie besagt das Indien ein unabhängiger, demokratisch-sozialistischer und säkularer Staat ist. Hervorzuheben im aktuellen Kontext ist hier das Wort säkular, das in Indien bedeutet, dass keine Religion vom Staat gegenüber einer anderen bevorzugt werden darf. Die Präambel kann zwar vom Parlament geändert werden, jedoch nur solange die Grundideen der Verfassung bestehen bleiben. Es wäre damit illegal, ein Gesetz zum Vorteil der Hindumehrheit durchzusetzen, sei es der Entzug des Wahlrechts für Muslime oder ein Verbot des Verzehrs von Rindfleisch. 

Indien ist ein Föderaler Staat mit einem zweikammrigem Parlament auf Staatsebene: Das Oberhaus Rajya Sabha als Vetretung der Bundesstaaten und das direkt gewählte Unterhaus Lok Sabha, das vergleichsweise mehr Macht besitzt. Der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion in der Lok Sabha wird in der Regel zum Premierminister gewählt. Während das eigentliche Staatsoberhaupt Indiens der Präsident, momentan ein Herr des Namens Ram Nath Kovind, ist, übt der Premierminister alle tatsächlichen Regierungsfunktionen aus. Die Wahl zur Lok Sabha ist daher entscheidend für das politische Klima des Landes in den kommenden  fünf Jahren.

Aufgrund der seiner hohen Bevölkerungszahl (ca. 900 mio Wahlberechtigte)  und teilweise schwer erreichbaren Gebiete ist es Indien logistisch gesehen nicht möglich eine Parlamentswahl an einem Tag durchzuführen. Die jetzige Wahl begann am 11. April als die erste von insgesamt sieben Gruppen von Wahlkreisen abstimmte. Die letzte Phase gab am 19. Mai ihre Stimme ab. Gewählt wird nicht in Form eines Stimmzettels sondern mittels einer elektronischen Wahlmaschine (EVM). Diese enthält eine Liste der Kandidaten  und ihren jeweiligen Parteisymbolen mit einem Knopf neben jedem Namen. Es ist daher nicht zwingend erforderlich, Lesen oder Schreiben zu können um zur Wahl zu gehen. Wer gewählt hat, bekommt eine Kennzeichnung am rechten Zeigefinger mit nicht abwaschbarer Tinte. Am Entscheidungstag berechnet die Software der EVMs das Ergebnis und druckt zusätzlich eine Liste aller abgegebenen Stimmen auf Papier das stichprobenartig mit dem elektronischen Ergebnis abgeglichen werden muss. Obwohl es bei jeder Wahl Vorwürfe gibt, dass die Software der EVMs durch Hacker manipuliert werden könne, ist die indische Wahlmethode international anerkannt.

Die jetzige Wahl hatte zwei Hauptkandidaten, die als Premierminister in Frage kamen: Rahul Gandhi, Präsident des Indischen Nationalkongress, und Narendra Modi, Mitglied der BJP. Rahul Gandhi ist Teil des Gandhi Clans und Urenkel von Indiens erstem Premier Jawaharlal Nehru. Aufgrund seiner Abstammung, die ihm eine politische Karriere quasi in die Wiege legte, wird er von der indischen Öffentlichkeit gerne als „Pappu“ (Muttersöhnchen) bezeichnet. Narendra Modi dagegen kommt als Sohn eines Tee Stand Besitzers  aus eher einfachen Verhältnissen. Während er anfangs in Geschäft seines Vaters mithalf, trat er bald der rechtsnationalen Organisation RSS (Rashtriya Swayamsevak Sangh) bei und machte politische Karriere. Aufgrund seines familiären Hintergrunds gab ihm die indische Öffentlichkeit den Spitznamen Chaiwalla (Teeverkäufer). Darüber hinaus hatten lokale Parteien wie die Tamilische DMK oder Andhra’s YDP Einfluss auf die Wahlen da sie als potenzielle starke Koalitionspartner in Frage kämen.  

Freitag, 8. Februar 2019

Tripping with Shiva

Taxi Apps wie Ola und Uber sind in allen Indischen Städten weit verbreitet. Wer heutzutage eine Autorickshaw, ein Taxi, eine Limousine oder ein Motorradtaxi will, konsultiert eine der beiden Apps und erhält mit etwas Glück nach wenigen Minuten die Bestätigung für eine Fahrt.
Nun ist es unter Hindus durchaus üblich, Kinder nach Göttern im hinduistischen Kosmos zu benennen. Shiva, Vishnu oder Lakshmi sind gängige Namen in jeder Stadt.  Im Kontext von Ola und Uber jedoch lösen solche Namen oft urkomische Situationen aus. Hier eine kleine Einführung in die hinduistische Mythologie:
Vor einiger Zeit machte ein Screenshot die Runde in den sozialen Medien.  Er zeigte die Nutzeroberfläche von Ola, in der der Name des Fahrers angekündigt wurde: „Yamaraja is on the way to your location.“ Die Benutzerin cancelte die Fahrt erschrocken.
Yamaraja ist der hinduistische Totengott. Dargestellt als Mann mit feuerroten Augen und langen Eckzähnen empfängt er Seelen im Jenseits. Es existieren verschiedene Interpretationen seiner Rolle. Für manche  ist er der erste Sterbliche auf der Welt, der auf diese Weise zum Herrscher über das Jenseits wurde. Für andere ist er der Gott der Gerechtigkeit, der als Richter den Weg weist. Wieder andere sehen ihn als eine Personifikation der Zeit. In jedem Fall ein Grund zur Sorge, sollte Yama auf dem Weg sein.
Es sei denn natürlich, es steigt unterwegs Shiva zu. Shiva ist einer der drei Hauptgötter des Hinduismus. Zusammen mit Brahma und Vishnu bildet er die Dreifaltigkeit bestehend aus Erschaffung, Bewahrung und Zerstörung. Shiva ist das kosmische Chaos selbst. In seiner Darstellung als Nataraja (ebenfalls ein gängiger Name) oder kosmischer Tänzer symbolisiert er die Dynamik des Universums. Gegen Shiva hat selbst Yamaraja keine Chance.
Wenn der Zufall es so will, begegnet man im Sammeltaxi Lakshmi, der Göttin des Glücks. Thronend auf einer Lotusblüte schüttet sie mit beiden Händen Gold aus. Geschäftsleute verehren sie und ihr Bild ziert den Altar vieler Läden, vom zweistöckigen Juwelierkomplex zum Copyshop an der Ecke. Mit Lakshmi  im Nebensitz kann nichts mehr schief gehen.

Manchmal passiert es jedoch, dass Vishnu und Ganesh sich gezwungen sehen, zu canceln. Der App Nutzer steht dann da, von allen Göttern verlassen und hat keine andere Wahl als auf andere Transportmittel zurückzugreifen. Besonders während der Rush Hour ist es schwierig, ein Ola oder Uber  zu ergattern. Solche Fälle sind eben unvermeidbar wenn der ganze Kosmos Taxi fährt. 

Mittwoch, 3. Oktober 2018

Rainbow



Am 6. September dieses Jahres verkuendete der Indische Supreme Court, dass homosexueller Geschlechtsverkehr in Indien ab sofort legal sei. Das Urteil hat historische Bedeutung und bringt Hoffnung fuer Indiens LGBTQA+ community, die seit Jahrzehnten gegen die Kriminalisierung von Homosexualitaet kaempft.
Die Entscheidung des Supreme Court steht am Ende einer Reihe verschiedener Prozesse im Indischen Rechtssystem. Seit Kolonialzeiten enthaelt das Indische Strafgesetzbuch section 377, die homosexuellen Geschlechtsverkehr as "abnorme Geschlechtshandlung" unter Strafe stellt. Waehrend verschiedene NGOs seit den Neunziger Jahren gegen den Paragraphen ankaempften, kam das erste signifikante Urteil zu dem Thema vom Landesgericht in Delhi, das in 2009 gleichgeschlechtlichen Sex als legal erklaerte. Nach Protesten, allen voran von religioesen Gruppierungen, wurde das Urteil des Delhi High Court jedoch vom Supreme Court revidiert und die Entscheidung dem Parlament ueberlassen, welches wiederum gegen die Abschaffung von section 377 stimmte.
Erst nach einer Reform des Rechts auf Privatsphaere kam es verstaerkt zu neuen Forderungen, Homosexualitaet zu legalisieren, da die eigene sexuelle Orientierung eine private Angelegenheit sei. Basierend auf dem Argument, dass section 377 Indiens LBTQA+ community ihr von der Verfassung garantiertes Recht auf Privatsphaere verweigerte, erklaerte der Supreme Court nach einem einjaehrigen Prozess homosexuellen Geschlechtsverkehr  zum ersten Mal nach 150 Jahren endgueltig fuer legal und entschuldigte sich oeffentlich fuer die Diskriminierung des vergangenen Jahrhunderts.
Das Urteil vom 6. September stiess eine Welle an sozialen Entwicklungen an, die in Zukunft nicht mehr aufzuhalten sein werden und viele Fundamente der Indischen Gesellschaft in Frage stellen, allen voran die strikte Geschlechtertrennung, die auf vielen gesellschaftlichen Ebenen stattfindet. Nur wenige Tage nach dem Urteil eroeffnete in Mumbai das erste gender neutrale Hostel fuer Studierende. In vielen Staedten feierte die LBTQA+ community ausgelassen auf dem Strassen. In Zukunft wird es Institutionen wie Hostels und Hotels, Universitaeten, Aemtern und selbst dem Oeffentlichen Nahverkehr ueberlassen sein ihre Systeme strikter Geschlechtertrennung zu ueberdenken und eventuell zu reformieren. Viele Aktivisten argumentieren ausserdem, dass es nun Zeit fuer die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe sei.
Es ist hierbei zu bedenken, dass Indien seit Jahrhunderten eine Tradition von Transgenders hat, die urspruenglich den mittelalterlichen Herrschern diente. Diese soziale Gruppierung existiert bis heute in allen indischen grossen Staedten und wird von den meisten akzeptiert, wenn auch gesellschaftlich an den Rand gedraengt. Selbst ueber tausend Jahre alte Schriften wie das Epos Mahabharata erzaehlen Geschichten von Homosexualitaet und Geschlechtsumwandlungen, allen voran Arjuna's Zeit als Eunuch und Tanzlehrer der Prinzessin Uttaraa. Manche argumentierten daher, dass die Kriminalisierung von Homosexualitaet allein von der Britischen Kolonialherrschaft  eingefuehrt worden sei, aber in Indien historisch gesehen keine Basis habe.
Es gibt jedoch noch in der Indischen Gesellschaft relativ viele Gegenstimmen, die das Urteil als unmoralisch bezeichnen und vor allem in den sozialen Medien hasserfuellte Kommentare verbreiten. Wie viel Macht diese in Zukunft haben werden, ist jedoch fraglich. Die Legalisierung von Homosexualitaet  hat eine Entwicklung angestossen, die das Potenzial hat, in den kommenden Jahren fundamentale Veraenderungen herbeizufuehren.

Montag, 10. September 2018

Update

Der Prozess im Fall Asifa Bano ist noch immer am Laufen, jedoch nicht für die Öffentlichkeit einsehbar. Zu einem  Urteil kam es noch nicht. Der Hintergrund dieses Blogs bleibt daher bis auf Weiteres die Kerze.

Dienstag, 26. Juni 2018

God Market

Vor etwas mehr als einem Monat wurde Asaram Bapu zu einer lebenslaenglichen Gefaengnisstrafe verurteilt; der Vorwurf: Vergewaltigung zweier Minderjaehriger. Asaram hatte sich in den letzten vierzig Jahren als so genannter God-man etabliert und unterhielt zahlreiche Ashrams sowohl in Indien als auch ausserhalb. Seinen Anhaengern gilt er bis heute als heilig, so auch dem Vater seiner beiden Opfer, der seine Toechter gezielt in die Ashram-Schule schickte. Laut den indischen Medien sind die beiden Maedchen bei weitem nicht die einzigen Opfer sexueller Belaestigung durch den Bapu: Immer wieder gingen bei der Polizei Anzeigen von Anhaengerinnen des Gurus ein, die ihm vorwarfen, sie vergewaltigt zu haben. Eine dieser Anzeigen enthielt die Beschreibung eines abendlichen Rituals, in dem Asaram mit einem Laserpointer in einem Kreis junger Frauen sass und schliesslich die huebscheste zweimal anblinkte. Die so auserwaehlte leistete ihm dann in einem privaten "Befreiungsritual" in seinen Gemaechern Gesellschaft. Keine dieser frueheren Anzeigen bestand lange genug, um ein Gerichtsurteil herbeizufuehren, hauptsaechlich da entweder wichtige Zeugen tot aufgefunden wurden oder die Klaeger ihre Klage ueberraschend zurueckzogen. Auch die Familie der beiden Maedchen hat bis heute mit konstanten Bedrohungen fuer Leib und Leben zu kaempfen.

Asaram ist kein Einzelfall. Das Geschaeft mit der Religion, das beileibe nicht auf den Hinduismus beschraenkt ist, ist in Indien millionenschwer. Es reicht vom Verkauf ayurvedischer Zahnpasta zu der Einrichtung zahlreicher, teils von der Regierung subventionierter, Ashrams bis hin zu Actionfilmen mit den Gurus als Helden. Das Versprechen: Spiritualitaet, einfach und schnell erhaeltlich gegen ein wenig Bares. Wie viel dies noch mit der urspruenglichen Religion zu tun hat, ist aeusserst fraglich.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist das von Gurmeet Ram Rahim Singh Insan, der 2017 zu zwanzig Jahren Haft wegen Vergewaltigung verurteilt wurde und vorher vermehrt unter Verdacht wegen Mordes und Zwangskastration stand. Gurmeet Ram Rahim etablierte seine soziale und spirituelle Bewegung Dera Sacha Sauda hauptsaechlich im Norden Indiens und zaehlt inzwischen ueber 60 Millionen Menschen zu seinen Anhaengern. Er ist Regisseur und Hauptdarsteller mehrerer Actionfilme in denen er als "Messenger of God" Unholde verpruegelt. (Wer etwas Unterhaltung sucht, findet den Trailer auf youtube, ich werde ihn jedoch hier nicht verlinken). Gleichzeitig hat er ein Faible fuer schnelle Autos, auffaellige Goldjuwelen und coole Sonnenbrillen, die jeglicher Spiritualitaet vollends zu wiedersprechen scheinen. Sein Einfluss auf die indische Gesellschaft ist kontrovers: Waehrend er eine Mafia unterhaelt, die jegliche Kritik an ihm kaltstellt und Wahlempfehlungen fuer den hoechsten Bieter ausspricht, hat seine Organisation Dera Sacha Sauda Millionen armen Bauern zu einem hoeheren Lebensstandard verholfen.

Weniger exzentrisch als Gurmeet Ram Rahim Singh, jedoch ebenfalls kontrovers, ist Baba Ramdev, der mit der ayurvdischen Marke Patanjali Inhaber ins boomenden Grosskonzerns ist. Patanjali startete als Hersteller ayurvdischer Medizinprodukte und hat sich inzwischen auf die Beauty- und Kosmetikbranche ausgedehnt. Je laenger die Marke besteht, desto mehr stellt sie her. Vor einigen Wochen stellte Patanjali seine eigene Messaging App vor, die nach drei Tagen wegen schwerwiegender Sicherheitsbedenken bezueglich der Nutzerdaten vom Markt genommen wurde. Auch Patanjalis Zahnpasta, Shampoo und Kraeutermischungen zum Einnehmen stehen haeufig in der Kritik, schaedliche Inhaltsstoffe in hoher Dosis zu enthalten. Den Markterfolg Baba Ramdevs scheint jedoch selbst der nachgewiesene Inhaltsstoff Kuh-Urin nicht zu trueben. Werbespots fuer Patanjali  tauchen regelmaessig auf meiner Youtube Empfehlungsliste auf und enthalten meist ein huebsches traditionell gekleidetes Maedchen vom Typ Sanskari, welches sich das Gesicht genuesslich mit Creme einschmiert und dem Zuschauer auf Hindi den Wert und die Vorteile hinduistischer Traditionen nahebringt.

In einer politischen Phase, in der selbst Premier Modi Yoga-Instruktionen unter seinem Namen veroeffentlicht, bekommt Indiens God Market starken Aufwind. Indien in der Vision vieler Hindunationalisten sollte ein Land sein, das international fuer seine hinduistischen Traditionen geschaetzt wird. Um dies zu erreichen, unterstuetzt die aktuelle Regierung Gurus ungeachtet iherer moeglichen kriminellen Hintergruende. Natuerlich sollte nicht jeder Gruender eines Ashrams als Verbrecher stigmatisiert werden, jedoch ist bei der Wahl einer spirituellen Organisation, sowohl als Auslaender als auch als Inder, Vorsicht geboten, nicht an eines der schwarzen Schafe zu geraten.


Sonntag, 15. April 2018

Asifa Bano



… wurde am 10. Januar dieses Jahres im Bundesstaat Jammu & Kaschmir von Hindunationalisten entführt und in einem Hindutempel festgehalten. Ihre Peiniger, darunter Angehörige von Narendra Modi’s Partei BJP, vergewaltigten und folterten sie mehrfach, bis sie am 17. Januar schließlich stranguliert und im Wald verscharrt wurde. Während dieser Ereignisse stand sie unter Einfluss von starken Beruhigungsmitteln, die ihr zwangsweise verabreicht wurden. Asifa war acht Jahre alt.
Das Mädchen gehörte dem muslimischen Volksstamm der Gujjar Nomaden an, die sich während der Wintermonate ins tiefer gelegene Jammu begeben um Grasland für ihre Pferde zu finden. Dies geschieht meist mit Einverständnis der lokalen Bauern, jedoch kam es in den letzten Jahren immer wieder zu Spannungen. Hinzu kommt, dass die Gujjar im hinduistisch dominierten Jammu eine religiöse Minderheit bilden.

Der Fall erregte unmittelbar nachdem er sich ereignet hatte nicht viel Aufsehen, gelangte aber drei Monate später an die Öffentlichkeit, als die BJP offen Proteste zur Unterstützung der Vergewaltiger abhielt. Während der gesamten polizeilichen Untersuchung kam es zu Behinderungen durch Hindunationalisten, die sich auf die Seite der Angeklagten stellten. Zunächst war es Asifa’s Vater nicht möglich, seine Tochter vermisst zu melden, da der örtliche Polizeibeamte ihm eröffnete, Asifa sei wahrscheinlich mit einem Verehrer weggerannt und es sei keine Untersuchung nötig. Zu diesem Zeitpunkt war einer der Polizisten unter den Vergewaltigern und zwei weitere hatten Bestechungsgelder erhalten um die Tat zu vertuschen. Später versuchten hindunationalistische Anwälte in einer Demonstration zu verhindern, dass der Fall das Landesgericht von Jammu & Kaschmir erreichte. Zeitgleich begaben sich hundert Frauen in Hungerstreik zur Unterstützung der Vergewaltiger.

Als diese Details bekannt wurden, kam es in ganz Indien zu Demonstrationen. Während die Mehrheit für Asifa und ihren Volkstamm kämpft, gibt es auffallend viele Gegenproteste.  Das Hauptargument der Hindunationalisten ist, dass der Fall nur deshalb Prominenz erhält, weil das Opfer muslimischen Glaubens ist. Ein BJP Abgeordneter argumentierte, dass die Tat nicht von Hindus begangen worden sein könne, da sie in Kaschmir passiert sei und in Kaschmir ausschließlich Pakistanische Agenten handelten. Premier Modi blieb auffallend lange still. In den sozialen Medien zeichnete sich eine klare Spaltung der indischen Gesellschaft ab. Während viele Solidarität mit Asifa bekundeten, argumentierte die andere Seite, dass der Fall künstlich gehypt werde, um die BJP schlecht darzustellen und dass täglich Hindu Frauen vergewaltigt würden, deren Fall nie an die Öffentlichkeit gelange. Wieder andere verbreiten Verschwörungstheorien, demnach die Muslimische Volksgruppe der Rohingya, die angeblich in der Nähe ein Camp hatten verantwortlich für den Fall waren. Muslime wurden auf Facebook als Volksverräter und Antinationalisten gebrandmarkt und direkt beschimpft.
Man führe sich vor Augen, dass hier mehr Konflikte, als nur die Gewalt gegen Frauen Ausdruck finden:

1.       Asifa war muslimischen Glaubens und wurde von Hindunationalisten gezielt wegen ihrer Religion als Opfer ausgewählt
2.       Asifa war Angehörige eines Nomadenstammes, der sich im Konflikt mit lokalen Bauern befand. Die Täter hofften, durch die Vergewaltigung die Gujjar aus der Gegend zu vertreiben
3.       Die Tat fand in einem Tempel, einem Ort, der als heilig gilt, statt
4.       Die indische Regierungspartei BJP organisierte offene Solidaritätsbekundungen für die Vergewaltiger

Diese Faktoren sind dafür verantwortlich, dass die Situation zum landesweiten Skandal wurde. Der Fall Asifa polarisiert. Menschen, deren politische Ausrichtung bisher nicht bekannt war, ergreifen nun Partei für eine der beiden Seiten. Ich kam gestern in Bangalore an einer Solidaritätsbekundung für Asifa nahe der MG Road vorbei. Ich hoffe, dass die Menschen, die dort Kerzen anzündeten und Plakate hinterließen, etwas bewegen können. Der Hintergrund dieses Blogs zeigt meine persönliche Kerze für Asifa. Sie wird so lange bestehen bleiben, bis die Täter nach indischem Gesetz verurteilt sind und ihre Strafe angetreten haben.